Was bedeutet die „Pflege-Vollkasko“ für die ambulante Pflege?

13.11.2020

Was bedeutet die „Pflege-Vollkasko“ für die ambulante Pflege?

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Pflege im Heim für Patienten vor allem durch die Unterbringungskosten schwer bezahlbar ist. Viele können sich die Finanzierung des Pflegeheims nicht leisten oder brauchen dafür ihr Erspartes auf.

Andererseits ist die Pflege im Heim aus Sicht des Gesundheitsministeriums aktuell die attraktivere Alternative: Bündelt man die pflegebedürftigen an einer Stelle, wird weniger Personal benötigt, um die gleiche Zahl an Menschen zu versorgen. Fahrtwege und Übergänge fallen weg. Könnte man so den Personalmangel in der Pflege auffangen?

Vollkasko: Pflege im Heim voll abgesichert

Eine aktuelle Idee zur Finanzierung der Pflege sieht vor, aus der Teilabsicherung der jetzigen Pflegeversicherung ein „Vollkasko“-Modell zu machen. Wer in die Pflegekassen einzahlt, soll zukünftig so abgesichert sein, dass maximal 700 € Zuzahlung im Pflegeheim entstehen. Gleichzeitig soll das Vermögen oder der Sparstrumpf von Patienten geschützt bleiben.

Eine Maßnahme dazu wäre die Überführung aller bisher privat versicherten in die gesetzliche Pflegekasse – ein Umstieg der, wenn er denn organisiert werden könnte, vorrübergehend Geld in die Kassen bringt. Diese Organisation selbst ist allerdings offen.

Wie können „fair“ diejenigen zusammengeführt werden, die bisher nur in die gesetzliche Pflegekasse eingezahlt haben und diejenigen, die eine dann unnötige private Zusatzversicherung aufgebaut haben? Wie sollen die privaten Versicherungen aufgelöst werden?

Vollkasko-Pflege im Heim gegen ambulante Pflege

Der Vorschlag wirkt zunächst sozial und orientiert an den Bedürfnissen des Einzelnen: Statt Vermögen aufzugeben oder zu lange pflegebedürftig zu Hause zu bleiben, soll die Option „Pflegeheim“ für jeden möglich sein.

Dem entgegengesetzt muss man den Vorschlag allerdings auch aus der Perspektive von Pflegebedürftigen sehen, die zuhause wohnen bleiben möchten: Mit dem Wegfall des finanziellen Arguments werden sich viele von ihnen mehr unter Druck gesetzt fühlen, doch ins Heim zu gehen.

Wenn jemand noch gut zuhause leben kann, wenn er nur gepflegt wird, liegen seine Lebenshaltungskosten oft weit über den 700 € der Zuzahlung. Der Umzug ins Heim „frisst“ weniger vom angesparten Vermögen oder eben Erbe auf.

Und wenn wir bei diesem Gedanken sind, gibt es auch den nächsten gedanklichen Schritt: Wenn Opa endlich aus dem Haus auszieht, haben die Kinder/Erben es für sich. Vielleicht kommt auch diese Motivation dann mal durch.

Der Druck auf die ambulante Pflege wächst

Mit diesen und anderen Kampagnen versucht die Politik zur Zeit immer wieder, die Pflege von der ambulanten Versorgung zum stationären Angebot zu machen. Immer weiter gefasst wird der Kreis derjenigen, die zukünftig die Wahl haben, ins Heim zu gehen oder eben finanzielle oder soziale Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Das ist bei der Intensivpflege bereits durchgesetzt, jetzt wird es wieder auch in der ambulanten Alten- und Krankenpflege deutlich.

Dabei ist die Pflege im Heim nicht automatisch besser – Studien zeigen, dass in der Intensivpflege die ambulante Lösung zuhause für die Patienten, Erwachsenen wie Kindern, tatsächlich sicher oder sogar sicherer ist.

Mit dem Daumen das Leck stopfen

Und werfen wir den Blick auf Arbeitsbedingungen und Schwierigkeiten in der Pflege durch Personalmangel, können auch diese Probleme nicht behoben werden, indem mehr oder ein Großteil der Patienten in Heime umgelenkt wird. Auch hier kämpfen Pflegekräfte mit schlechten Arbeitsbedingungen. Die „Massenabfertigung“, die in einigen Fällen notwendig wird, verlangt beiden Seiten unglaublich viel ab. Hier darf die Lösung nicht einfach „mehr“ sein, wenn nicht gleichzeitig „anders“ passiert.

Abgesehen davon, dass gerade in Pflegeheimen im aktuellen System viel Geld an ganz anderer Stelle versackt als in der Qualität der Pflege: Die hohen Kosten hier entstehen teilweise durch die Immobilienspekulation hinter dem Pflegeheim. „Pflegeheime“, „betreutes Wohnen“ und Co sind Spekulations-Schlagworte geworden, die mit hohen Renditen locken.

Was passiert also, wenn einerseits Heime für Patienten attraktiver gemacht, von der Kasse nahezu voll bezahlt und weiterhin für Anleger geführt werden, während andererseits die ambulanten Pflegedienste geschwächt werden? Mehr Menschen werden in die oft bereits überforderten Heime getrieben, in denen Pflegekräfte auch nicht besser bezahlt werden, weil der Gewinn des Betriebs an Spekulanten geht.

Das ist kein Argument für die Vollkasko-Pflege.