Zur Zukunft der häuslichen Intensivpflege

04.10.2019

Zur Zukunft der häuslichen Intensivpflege

Herr Spahns Vorschläge zur Veränderung der (häuslichen) Intensivpflege insbesondere für Beatmungspatienten stehen weiterhin in der Kritik. Es ist nicht so, als käme nicht ausreichend Protest gegen die geplanten Maßnahmen von Selbsthilfeverbänden, Expertenrunden und Pflegediensten.

Zusammengefasst zielt der Entwurf darauf ab, intensivpflegebedürftige Menschen (also alle, die „die 24 Stunden am Tag Intensivpflege brauchen“) nicht mehr die Möglichkeit zu bieten, zuhause gepflegt zu werden, sondern grundsätzlich in Heimen oder Beatmungs-WGs.

  • Das Hauptargument: Kostenersparnis.
  • Die Rechtfertigung: Häusliche Intensivpflege wird durch Kriminelle ausgenutzt, deren Leistungen durch den medizinischen Dienst nicht überprüft werden können.
  • Die Frage: Ist dieser Vorstoß von Jens Spahn schlicht einer unempathischen BWL-Denke geschuldet, oder hat er einfach keine Lust mehr auf seine Position?

Als ob es nur um einige wenige Fälle ginge

Nun geht Herr Spahn nicht stärker gegen Kriminelle vor, indem er etwa dem medizinischen Dienst mehr Aufgaben zuteilt, eindeutige Patientenleitfäden formuliert oder legitime Intensivpflegedienste stärkt, sodass sie sich gegen finanziell motivierte Banden durchsetzen können. Nein, der Entwurf des Herr Spahn beschließt, Probleme in der Intensivpflege durch die Abschaffung der Intensivpflege zu beseitigen. Die DIGAB vergleicht diese Maßnahme mit der Abschaffung von Autos, weil einige Fahrer verantwortungslos handeln. Tatsächlich treffender – denn es geht um die Versorgung von Menschen, nicht die Existenz von Fortbewegungsmitteln – wäre ein Vergleich zur Abschaffung von Arztpraxen, weil einige Ärzte unnötige Tests anordnen.

Herr Spahn – und Gesundheitspolitiker der SPD wie Karl Lauterbach – verteidigen den Gesetzentwurf mit der Erklärung, er ziele eben nicht auf diejenigen ab, die „nur eine Pflegeassistenz“ benötigen, sich sonst aber selbst versorgen können, sondern auf Patienten, die sich nicht äußern können „wie beispielsweise Wachkoma-Patienten“.

Diese Rhetorik ist natürlich geschickt: Plötzlich gibt es nur zwei Gruppen – einmal die, die „noch selbst für sich sorgen“ und dann die, die als Wachkoma-Patienten „in der Regel nicht mehr selbst entscheiden, wo sie gepflegt werden“. Oft scheinen diese Patienten auch gleichgesetzt zu werden mit „Beatmungspatienten“. Abgesehen davon, dass sich Patienten, die beatmet werden müssen, nicht als homogene Gruppe betrachten lassen, machen auch sie bloß 20 % der Intensivpflege-Patienten aus. Ein schlechtes Pars Pro Toto.

Rhetorische Tricks für weniger Selbstbestimmung

Mit anderen Worten: Die Entscheidung wird darauf reduziert, ob Patienten, die sich nicht wehren können (und im öffentlichen Auge vielleicht gar nicht viel von ihrer Umgebung mitbekommen), nicht auch genauso gut und wesentlich kostensparender in großen Gruppen betreut werden könnten.

Das ist ein fieser Trick, denn es wird bewusst darüber hinweggeredet, dass sehr viele Intensivpatient*innen – auch nach Abschluss des 18. Lebensjahrs! – in ihren Familien leben möchten, den Alltag dort mitbekommen und in unterschiedlichem Maße sehr wohl zu ihrem eigenen Leben mitentscheiden.

Und selbst wenn man sich auf die billige Rhetorik einlassen würde, dass es „nur“ um mit Wachkoma-Patienten vergleichbare Fälle ginge, müsste nun jeder befürchten, mit seiner Fähigkeit, sich zu äußern, auch jede Selbstbestimmung zu verlieren. Vorsorgende Patientenverfügungen oder Absprachen mit Menschen, deren Krankheit absehbar voranschreitet, haben dann ebenso wenig Gewicht wie die Wünsche der Familien.

Vielleicht ist Herr Spahn hier aber auch nur auf einen Irrtum hereingefallen, der sich aus fehlenden Regulierungen ergab: Bisher existierte als einzige Richtlinie nur die S2K-Leitlinie, die sich auf Beatmungspatienten bezieht. Andere Intensivpflegebedürftige Patienten – immerhin 80 %! – werden dabei nicht berücksichtigt.

Anhörungsverfahren des Referentenentwurfs: Schlechte Aussicht für Spahn

Nun wissen wir, dass auf Bundesebene der Referentenentwurf von Jens Spahn im Anhörungsverfahren war und Träger und Fachgesellschaften sich äußern durften. Die haben zusammengefasst, was bereits öffentlich zu hören war.

Schön, dass Herr Spahn für eine höhere Qualität der Intensivpflege sorgen möchte. Einige Ideen wie die Pflicht zur Qualifikation der Pflegenden in der Intensivpflege sind hervorragend. Vieles andere ist allerdings – platt gesagt – albern.

Die Idee, dass Intensivpflege im Heim automatisch besser sein muss – sie auch nur sein kann! – ist so eine alberne Idee. Dafür sprechen nicht einmal Zahlen: Die 1:2- oder auch 1:3-Betreuung in einer Pflege-WG (ganz zu schweigen von der 1:1-Betreuung in der häuslichen Intensivpflege) kann sicher nicht durch eine 1:30-Quote in einem Heim gegeben sein.

Bundesrahmenempfehlung zu Qualitätsanforderungen gibt den Kurs vor

Im nun folgenden Schiedsverfahren wird der Entwurf neu diskutiert. Und dann auf Basis einer Bundesrahmenempfehlung, in der jetzt Qualitätsanforderungen festgelegt werden, die bisher nicht existierten.

Dadurch werden die Qualitätsanforderungen an die Intensivpflege aber sicher nicht niedriger. Und auch wenn das Ziel ist, die häusliche Intensivpflege zu verbessern: Die vereinbarten Anforderungen gelten automatisch auch für Heime. Wenn also jede Pflegekraft voll für die Intensivpflege qualifiziert sein soll, dann gilt das auch im Heim. Wenn eine Quote in der Betreuung festgelegt wird, gilt diese auch im Heim – bisher übliche 50 % reichen dann sicher nicht mehr.

Die neue Bundesrahmenempfehlung gilt ab Januar 2020 mit einer Überleitungsfrist von vier Jahren.

Wir erwarten den Paragraphen 37c

Sicher scheint uns, dass der Paragraph 37c kommen wird. Auf Grundlage der Bundesrahmenempfehlung mit nun deutlich festeren Qualitätsanforderungen, aber voraussichtlich ohne die absurden Kürzungen bei der Versorgung von Intenisvpatienten.

Durch den Wegfall der klassischen Kriterien werden wir auch in jedem Fall neue Rahmenverträge aushandeln müssen – Krankenkassen und Pflegedienste haben hier die Chance, Standards zu setzen.

Ein kreativer Vorstoß wäre dabei, nicht mehr die Verurteilung eines ganzen Berufszweigs durch Gleichsetzung mit Kriminellen vorzunehmen, sondern die Kontrollen und Vorgaben zu stärken, die eine Abgrenzung zwischen echten Pflegediensten und den kriminellen Ausnahmefällen auch für Patienten erleichtern.