18.02.2022
Unsichtbare Pflegewissenschaft?
Wie die Pflege als Disziplin kleingehalten wird
Die Akademisierung der Pflege ist ein Projekt, das sich alte wie neue Bundesregierung auf die Fahne geschrieben haben. Aber mit der Anerkennung der Disziplin scheint es nicht weit her zu sein. Oder fehlt es schlicht an interner Organisation?
Aktuell bot eine Ausschreibung der Bundesregierung zur Erforschung der Folgen der Corona-Pandemie in Pflegeheimen Anlass zur Diskussion. Die Ausschreibung hatte keinen Erfolg - die Tagesschau berichtete davon, dass scheinbar niemand an der Ausschreibung interessiert gewesen sei. Auf der anderen Seite steht die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaften e.V., die davon spricht, dass Experten eben nicht gezielt angesprochen wurden.
Stellungnahme der DGP zur Ausschreibung
Für die Studie, die unter dem Projektnamen CASP ("Analyse der Gründe für SARS-CoV-2-Ausbrüche in stationären Pflegeeinrichtungen") gestartet werden sollte, fand sich nach Angaben der Bundesregierung im letzten Jahr niemand, der sie hätte durchführen wollen.
Dagegen veröffentliche die DGP nun eine Stellungnahme. Die Pflegewissenschaft in Deutschland wird unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V. vertreten. In ihrer Stellungnahme weist sie darauf hin, dass die Ausschreibung nur auf der Plattform des Bunds für Ausschreibungen veröffentlicht wurde, aber keine direkte Ansprache offensichtlich geeigneter Forschungspersonen aus Deutschland erfolgte: „Die Autor:innen der von der DGP initiierten Leitlinie „Soziale Teilhabe und Lebensqualität in der stationären Altenhilfe unter den Bedingungen der Covid-19 Pandemie“ hätten ohne Frage Hinweise geben können.“
Zur Kommunikation zwischen Regierung und Forschung
Natürlich ist es allgemein üblich beziehungsweise richtig, dass die Bundesregierung Ausschreibungen für (Forschungs-)Projekte über ihre Plattform veröffentlicht und nicht direkt einzelne Personen anschreibt, ob sie einen bestimmten Job gern hätten.
Trotzdem ist es in vielen Bereichen auch üblich, dass über geeignete Kanäle auf ein ausgeschriebenes Projekt hingewiesen wird. Ob von Seiten der Auftraggeber, durch direkten Hinweis an potenzielle Bewerber und Bewerberinnen oder durch Dienste, die Veröffentlichungen zum Thema sammeln und weiterleiten.
Der zweite Teil ist ein Schritt der Professionalisierung von Forschungszweigen, den die Pflegewissenschaften an dieser Stelle noch nicht vollzogen haben beziehungsweise noch nicht vollziehen konnten. Denn in „gut laufenden“ Bereichen kann man es sich erlauben, dass einzelne Personen quasi Vollzeit damit betraut sind, wichtige Nachrichten zusammenzutragen und Stellenangebote über Rundschreiben zu verschicken. In lang etablierten Disziplinen gibt es oft einfache „Mailinglisten“, über die sich Mitglieder austauschen können und es liegt im Interesse von Auftraggebern, hier Mitglied zu sein, um Ausschreibungen publik zu machen.
Die Anfänge der Pflegewissenschaft – gemeinsame erste Schritte?
Die Anfänge der Pflegewissenschaft in unserem Land werden nach außen hin von der Bundesregierung gefordert und gefördert – ein Entgegenkommen und „Helfen“ scheint es für die junge Disziplin aber aktuell nicht zu geben.
Man ist versucht zu sagen, dass die Bundesregierung in der Ausschreibung von Projekten doch eben mehr Erfahrung hat und wissen sollte, dass die Reichweite einer bloßen Veröffentlichung sehr gering ist, wenn keine konkreten Gruppen angesprochen werden. Das ignoriert dann allerdings, dass auch die Erfahrung mit einem neuen Wissenschaftszweig, der sich nicht aus etablierten größeren Strukturen abgezweigt hat (wie sich beispielsweise die medizinische Informatik aus Informatik und Medizin bilden konnte), neu für die Bundesregierung ist. Die Pflegewissenschaft entsteht durch die Akademisierung eines Feldes, das bisher ein zusätzlich auch noch vernachlässigter Ausbildungsberuf war.
Hier trifft Unerfahrenheit auf Unerfahrenheit. Das wirkt natürlich nicht gut – muss aber verständlich sein.
Ein Selbstbewusstsein schaffen
Die neue Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll, hat sich unter anderem mehr Selbstbewusstsein der Pflegekräfte als Ziel gesetzt. Ähnlich muss auch die Pflegewissenschaft ihren Platz finden.
Unerfahrenheit ist dabei übrigens nicht als „Vorwurf“ zu verstehen. Man kann niemandem vorwerfen, keine Erfahrung in einem Bereich zu haben, der neu ist. Wichtig wäre, von Seiten der akademischen Pflegewissenschaften und ausschreibenden Stellen wie dem Gesundheistministerium, der Bundesregierung oder auch Landesregierungen aus zu lernen, wie man zukünftig miteinander spricht.
Hier aktiv Kommunikationsschnittstellen zu schaffen ist nicht die Aufgabe von einer Seite, sondern von beiden.