02.06.2023
Politik: Pflege zuhause wieder stärken – aber wirtschaftlich bleiben
In der Diskussionen zur neuen Finanzierung der Pflege wurden unter anderem Äußerungen vom Gesundheitsminister Karl Lauterbach unterstrichen, die die Bedeutung der ambulanten Pflege, insbesondere durch Angehörige zu wertschätzen scheinen: „Die Pflege durch Angehörige ist nicht der billige Pflegedienst“
Konkret wurde er allerdings nicht. Und bisher folgen Worten weder Taten noch Pläne, die kompatibel sind. Wir werfen einen Blick darauf, wie der „Wert“ der Pflege zuhause konkret berücksichtigt wird.
Pflegekosten sind für jeden sichtbar und spürbar
Ein großes Problem der Pflege ist, dass die Kosten hier für jeden sichtbar und spürbar sind. Abgesehen davon, dass sie selbst oder Angehörige pflegebedürftig sein können, wird die Pflege über den Pflegeversicherungsbeitrag von Angestellten (und Arbeitgeber*innen) finanziert. Dass die bisherigen gemeinschaftlichen Zahlungen nicht mehr ausreichend, ist für den Einzelnen deutlicher zu erkennen als die Erhöhung von Ausgaben für Bildung oder Autobahnen, die in allgemeinen „Steuern“ untergehen.
Auch der Unterschied zwischen kinderlosen und Eltern ist deutlich spürbar: wer keine Kinder hat, zahlt zusätzlich ein (Gründe werden ignoriert). Hier geht es nicht um eine Entlastung von Eltern, sondern ausdrücklich darum, dass Kinderlose mehr zahlen: immerhin ist das „Risiko“, dass sich für ihre ehrenamtliche Pflege niemand findet, größer.
So muss sich auch der Gesundheitsminister zur Finanzierung von Pflege äußern und dabei jede Idee von Entlastung und mehr Ausgaben einschränken: man muss sich innerhalb des Haushalts bewegen.
„billiger Pflegedienst“: Was ist Angehörigenpflege wirtschaftlich betrachtet?
Wirtschaftlich gesehen ist die Pflege zuhause auf den ersten Blick günstig: wenn Angehörige die Pflege übernehmen, fallen weniger Kosten für die Kranken- bzw. Pflegekassen an, als wenn ein Pflegedienst bezahlt wird. Denn das Pflegegeld, das ausgezahlt wird, ist weniger als das, was für professionelle Pflege zur Verfügung steht. Egal ob zuhause oder in Heimen: professionelle Pflege kostet die Pflegekassen mehr als „ehrenamtliche“ Pflege durch Angehörige oder die Nachbarschaft.
Aber aus Perspektive der Gesamtwirtschaft: wer hauptsächlich zuhause eine andere Person pflegt, fällt für den Arbeitsmarkt weg. Die Pflege durch „arbeitsfähige“ Angehörige ist also gesamtwirtschaftlich eher ein Verlust. Wer statt privat zu pflegen beispielsweise in einem Pflegedienst arbeitet, steht direkt für die Betreuung mehrerer Patient*innen zur Verfügung.
Damit kann Herr Lauterbach sagen „Die Pflege durch Angehörige ist nicht der billige Pflegedienst“ und sich vordergründig darauf beziehen, dass pflegende Angehörige mehr Geld bekommen sollten. Eine Erhöhung der Unterstützung um 5 % angesichts aktueller Kosten lässt diese Deutung aber kaum zu.
Stattdessen muss man verstehen: die Pflege zuhause durch Angehörige, die nicht gegen Bezahlung arbeiten gehen, ist ein gesellschaftlicher „Luxus“, den wir uns bis jetzt leisten konnten und wollten.
Im Zangengriff: zwei wirtschaftliche Überlegungen zerren aneinander
Wie dargestellt ist die Pflege zu Hause durch Angehörige eine Option, die sich unsere Gesellschaft „leisten“ kann, weil die „ehrenamtlich“ pflegenden nicht gleichzeitig für das Bruttosozialprodukt arbeiten können.
Andererseits sind sie aber auch eine – auch wirtschaftliche – Notwendigkeit: es gibt nicht ausreichend professionelle Pflegekräfte oder Heimplätze, den aktuellen Bedarf an Pflege zu decken. Zukünftig wird die Situation nur umso drastischer.
Mit anderen Worten: wenn wir weiterhin als Gesellschaft Pflege leisten wollen, müssen wir uns damit abfinden, dass dieser Bereich Kosten schluckt und die Kosten steigen. Ähnlich wie andere staatlich geförderte Bereiche kann der Anspruch, „kostensparend“ zu denken, katastrophal enden – siehe verfallende Infrastruktur, Gesundheitsversorgung oder Bildung.