31.05.2024
Pflegeversicherung zwischen Teilkasko- und Vollkasko-Argumenten
Das Modell der aktuellen Pflegeversicherung steht an einem prophezeibaren und absehbaren Abgrund. Ähnlich wie andere „Säulen der sozialen Absicherung“ in Deutschland ist die Pflegeversicherung, die noch keine dreißig Jahre alt ist, von einem Zusammenbruch bedroht.
Die Gründe dafür liegen in Änderungen in der Struktur der Bevölkerung, einer anderen Perspektive auf die Leistungen (und erwartbaren Leistungen) der Versicherung, einer anderen Perspektive auf diejenigen, die die Leistung erbringen sollen, …
Die Diskussion über die Änderung bringt zur Zeit zwei Perspektiven gegeneinander: In der FAZ beharrt ein kurzer Artikel darauf, dass die Pflegeversicherung halt nun mal nicht als „Vollkasko“ gedacht war (und in den Kommentaren ist sich jemand nicht zu schade, „bessere Sterbehilfe“ und schlechtere medizinische Versorgung ab einer festen Altersgrenze zur Finanzierung der Pflege in die Runde zu werfen).
Andersrum beschreibt ein wesentlich nuancierterer Artikel auf evangelisch.de das Problem aus einer anderen Perspektive: das alte System war zwar nicht auf Vollkasko ausgelegt – das neue sollte es aber sein.
Vollkasko: Mehr Einnahmen JETZT?
Eine Rundumversicherung für Pflege wäre die Gewissheit für alle, dass sie sich in ihrer Zukunft auf gute Pflege verlassen können, egal was passiert. Die Versicherung zahlt, wenn man langfristig oder überraschend früh krank wird.
Das widerspricht natürlich als erstes mal dem Weltbild von allen, die sich der „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“-Philosophie so sehr verschrieben haben, dass sie strukturelle Unterschiede gar nicht in Erwägung ziehen.
Aber es ist natürlich auch eine legitime Frage, wie so ein System finanziert (und durchgeführt) werden soll. Es ist ja nicht so, dass aktuell volle Pflege durch das Pflegeversicherungsfinanzierte System geleistet werden kann – neben Geld fehlen einfach auch die passenden Menschen, die pflegen könnten.
Teilkasko: Zurückpendeln zu „Pflege ist Familiensache“
Die Pflegeversicherung ist als eine gewisse Grundlagenversicherung gedacht – nicht dafür, dass im Alter niemand mehr Kosten durch privates Vermögen tragen muss. Das schockiert immer wieder und wurde zuletzt populistisch durch einzelne Beispiele gezeigt: sobald der Weg ins Pflegeheim führt, schmilzt das Ersparte weg.
Und wie oben erwähnt: es fehlt an Geld, Menschen und Zeit. Deswegen soll jetzt wieder ein „altes“ Modell greifen: Familienangehörige, Nachbar*innen und Freund*innen pflegen. Dafür soll Raum geschaffen werden, indem die Arbeitswelt flexibler gestaltet wird, mit Möglichkeiten zur Pause und Absicherung.
Faktisch fließt hier Geld aus einem Topf in den anderen, ohne es so zu nennen: wenn Leute nicht arbeiten können, weil sie privat pflegen, aber das gleiche Geld aus dem Topf „Wirtschaft“ bekommen, ist das eine Umverteilung. Das muss nicht schlecht oder problematisch sein – und ist vor allem im Zweifel nur realistisch.
Denn egal ob Voll- oder Teilabsicherung: aktuell sind schon nicht genug „Ressourcen“ – von Geld über Stellen bis zu Zeit – verfügbar, weder für ein funktionierendes Teil- noch Vollkaskosystem.
Die Umstellung des Systems muss also mit in Frage stellen, ob das benötigte Geld und die benötigte Zeit reduziert werden können, egal wo sie herkommen – un im Gegensatz zu seltsamen Internetkommentaren menschlich gegenüber allen bleiben.