Finanzierung der Pflege: Wo soll das noch hingehen?

27.12.2017

Finanzierung der Pflege: Wo soll das noch hingehen?

Die Kosten für Pflege steigen auch in Deutschland. Wieso steigen die Kosten für Pflege? Weil es immer mehr pflegebedürftige Menschen gibt zum Beispiel. Und weil die Kosten für Versorgungsmittel steigen – so wie für Butter, Lebensmittel oder viele Dienstleistungen. Ein Grund, wieso die Kosten für Pflege in Deutschland definitiv nicht steigen, ist die Bezahlung der Pflegedienste. Hier passiert nicht viel, das den Preisanstieg, den wir auch erleben, ausgleichen könnte.

Im Gegenteil: Krankenkassen zeigen sich nicht williger, Rechnungen pünktlich zu begleichen und bei Privatpersonen sitzt das Geld auch nicht plötzlich so locker, dass sie die Pflege privat bezahlen könnten.

Statt nur darüber zu „jammern“ wie schlecht es uns damit geht, möchten wir eine andere Frage in den Mittelpunkt des heutigen Artikels – eine Woche vor dem neuen Jahr – stellen: Wohin soll das führen?

Bisherige Lösungen bringen uns nicht weiter

Es werden immer wieder Lösungen diskutiert, um dem Pflege(kräfte)mangel zu begegnen. Da kommen die interessantesten Ideen auf den Tisch, während gleichzeitig sehr einfache Lösungen (ein so anstrengender, anspruchsvoller Beruf sollte beispielsweise angemessen bezahlt werden) außen vor bleiben.

Stattdessen wird an anderen Stellschrauben gedreht: Wenn es nicht mehr Pflegekräfte gibt, weil zu wenig junge Leute in die Ausbildung starten wollen, dann gibt es eben weniger Zeit pro Patient. Oder mehr Patienten pro Pflegekraft.

Das führt zu fatalen Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte, Unterversorgung der einzelnen Patienten und vor allem eine Entmenschlichung in der Pflege, die viele Pflegekräfte immer wieder auf Jobsuche schickt, in der Hoffnung, ein Unternehmen zu finden, in dem es anders läuft. Wir versuchen, diese Belastung aufzufangen – ein Vorteil von unserem „großen Netzwerk“ ist dann doch, dass im Notfall mehr helfende Hände bereitstehen. Also halten wir dem Druck als Gemeinschaft im Moment noch gut stand.

Lange können die Pflegedienste in Deutschland aber nicht mehr unter diesem Dauerdruck arbeiten. Manchmal hangeln wir uns monatelang durch eine „momentane Krise“, weil wieder ein Pflegedienst aufgeben und andere einspringen mussten, oder weil die Bezahlung für erbrachte Leistungen einfach nicht ankommt.

Die Zukunft sieht grausig aus: Roboter und Pflege per Sprachausgabe

Was sind also die alternativen Lösungen? Im Moment sieht es auch da teilweise eher schaurig aus. Eins der neusten Projekte der Kategorie „Pflege entmenschlichen“ (Link zum englischen Artikel) ist gerade in England gestartet. Da versucht ein Unternehmen, die Kosten für die Betreuung älterer Menschen zu senken. Messerscharf analysiert entstehen die teilweise dadurch, dass die Patienten von ihrer Pflegekraft nicht nur medizinische Versorgung, sondern oft auch menschlichen Kontakt wollen. Ein paar Minuten Plaudern kann den Tag retten. Aber fürs Plaudern wird niemand bezahlt.

Andersrum müssen einsame Menschen öfter in die Notaufnahme oder sitzen beim Arzt. Sie haben echte Probleme – die Atemnot, die sie spüren bilden sie sich nicht ein -, aber die Ursache für diese Symptome ist nicht rein körperlich. Wer allein ist, kann sich schlecht selbst aus einer Panikattacke führen.

Die technische Lösung von care.coach: Eine App. Hier sprechen alte Menschen mit einer Katze oder einem Hund auf dem Bildschirm. Ihre Sätze nimmt die Sprachverarbeitung auf, schickt sie ans andere Ende der Welt und die Anfragen werden rund um die Uhr beantwortet: Der Mitarbeiter auf den Philippinen tippt sie ein und das Katzenprogramm liest sie vor. Klar spart das Kosten – diese Mitarbeiter kann das Unternehmen aus Großbritannien immerhin so schlecht bezahlen, wie es möchte.

Aber immerhin: Dieser Austausch bedeutet ja fast schon menschlichen Kontakt! Wenn die ganze App nicht darauf ausgelegt wäre, den zu reduzieren. Patienten dürfen mit dem Avatar am Bildschirm interagieren, wenn sie unruhig sind – dann gibt die Katze beispielsweise Anleitungen für Atemübungen. Und sonst? Für Gespräche steht die Katze nicht zur Verfügung, dazu ist auch sie zu beschäftigt. Aber sie spielt Musik ab, wenn der Patient selbst das Radio nicht anmachen kann.

Die bisherigen Tests laufen übrigens positiv. Nicht überraschend könnte man meinen, wenn man liest, dass die Patienten wissen, dass sie ihre kleinen Hilfen gegen Einsamkeit solange behalten dürfen, wie es ihnen gut geht und sie nicht wieder in der Notaufnahme landen.

So kann es nicht weitergehen

Das kann aber doch nicht unsere Perspektive auf die Zukunft sein? Ältere Menschen mit kleinen digitalen Begleitern abspeisen und das Problem für geklärt halten?

Pflege muss Geld kosten dürfen. Pflege muss Zeit brauchen dürfen. Pflege muss menschlich bleiben.

Daran können wir als Pflegedienst nur so viel machen, wie im Rahmen unserer Möglichkeiten gerade mit einer halben freien Hand noch geht. Wir versuchen, den Druck auf unsere Pflegekräfte durch einige Zwischenstufen abzufangen. Unsere IT hilft durch technische Lösungen, in der Verwaltung wird so viel Papierkram wie möglich erledigt, die GL verhandelt fleißig mit Kostenträgern und auch Politikern und die Stimmung im Unternehmen, wenn wir Pause oder Party machen, hilft bei der Entspannung. Danke an alle dafür!

Aber wir haben alle Hände voll zu tun und eigentlich kaum Kapazitäten frei, nebenbei Druck auszuüben auf Entscheider. Und wenn Sie warten, bis das Thema Pflege für Sie akut wird, kann das auch zu spät sein. Unsere älteren Patienten, die in Rente sind, können nicht mehr streiken, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Wer auf ständige Beatmung angewiesen ist oder ans Bett gefesselt ist, kann nicht auf die Straße gehen und protestieren.

Da sind wir auf die Hilfe von anderen angewiesen, die für uns mit laut sind.

Ein lautes neues Jahr

Nächste Woche bricht schon das neue Jahr an. Und wir können uns alle noch ein paar Punkte auf die Liste der guten Vorsätze schreiben. Etwas weniger rumbrüllen, wenn mal was schief geht oder uns eine Laus über die Leber gelaufen ist, zum Beispiel.

Oder sehr laut schreien, wenn die Dinge wirklich schieflaufen und andere oder wir die laute Stimme gut brauchen können.

So geht das doch nicht weiter, oder?

– Simon Born