09.06.2023
Europaweit immer mehr Streiks in der Pflege
Vor drei Jahren haben wir zuletzt über die deutsche Pflege im Vergleich zu der Pflege in anderen Ländern geschrieben. Aktuellere Zahlenzur Bezahlung als die von etwa 2019 sind schwer zu finden und die Arbeit ist auch nicht immer leicht zu vergleichen.
Beispielsweise ist das deutsche Ausbildungssystem in Europa recht einzigartig: einerseits in Abgrenzung zu Ländern, in denen Pflege (Alten- und Krankenpflege oder die Arbeit im Krankenhaus) fast immer ein Studium ist. Andererseits gegenüber Ländern, in denen eine Ausbildung anders organisiert ist, als im durchstrukturierten deutschen System.
Außerdem unterscheiden sich, teilweise auch wegen der unterschiedlichen Ausbildungssysteme, die Aufgaben von allen, die auf Deutsch „Pflegekräfte“ sind. In Großbritannien beispielsweise ist bei aktuellen Streiks die Rede von „Health Workers“ – ein Begriff der viel mehr umfassen kann, als die deutschen Pflegekräfte.
Aber eine große Gemeinsamkeit haben alle Systeme: die Mitarbeiter*innen streiken immer öfter. Denn Bezahlung und Bedingungen passen nicht zur Bedeutung der Aufgabe.
Streiks für mehr Geld und bessere Bedingungen
Aktuelle Streiks in der Pflege gab es wie erwähnt beispielsweise in Großbritannien Anfang Mai. Die Mitarbeitenden der Gesundheitsbranche, vorwiegend „Nurses“ (Krankenschwestern/Krankenpfleger), haben die Arbeit niedergelegt, um für bessere Gehälter zu kämpfen. Dabei ist der Streik sogar so weit eskaliert, dass auch Intensivstationen und Notaufnahmen betroffen waren.
Der damit für alle mehr als spürbare Streik bezieht sich auf deutliche Gehaltserhöhungen. Denn die Erhöhungen der Gehälter in den letzten Jahren wurden von der Inflation mehr als aufgefressen: real ist die Kaufkraft der Health Workers zwischen 2010 und 2019 (auch hier gibt es keine aktuelleren Zahlen) um etwa 6 % gefallen.
Die extreme Inflationsrate der letzten Zeit, die auch wir zu spüren bekommen haben, hat die Situation nur noch verstärkt.
Streiks in Spanien und Frankreich
In Spanien und Frankreich fanden im letzten Jahr größere Streiks statt. In beiden Ländern waren die Streikphasen groß angelegt und auch Ärzte schlossen sich an.
Neben spürbaren Erhöhungen der Gehälter forderten die Streikenden vor allem auch bessere Arbeitsbedingungen.
Denn auch in Spanien und Frankreich fehlen Mitarbeitende im Gesundheitssektor und die Ressourcen, mit denen sie arbeiten müssen, sind teilweise sehr veraltet.
Ein einfacher Sprung in ein Nachbarland für bessere Gehälter oder Arbeitsbedingungen bleibt also schwierig.
Es zieht qualifizierte Pflegeprofis nach Deutschland
In der Türkei sind letztes Jahr Streiks besonders umfassend geworden, nachdem das Thema von Gewalt gegenüber Mitarbeiter*innen der Gesundheitsbranche schmerzhaft aktuell geworden war. Ein Kardiologe war von den Verwandten einer behandelten Person erschossen worden.
In der Türkei und einigen anderen Ländern kommt zu den gleichen Problemen wie in Großbritannien, Spanien, Frankreich und Deutschland noch ein weiteres hinzu: Abwanderung.
Denn viele qualifizierte Menschen verlassen die Länder und emigriere nach Deutschland, Spanien oder Frankreich, um etwas bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden. Dabei leiden natürlich auch diese Länder unter einer veränderten Bevölkerungsentwicklung und die Abwanderung, die in Deutschland kleine Erleichterung bedeutet, verstärkt die Probleme.
Pflege als großes Thema unserer Zeit
Pflege muss neu gedacht werden – nicht nur „innen“, also durch die Gesundheitsbranche selbst, sondern vor allem von der Gesellschaft. Vor allem als gesamtgesellschaftlich bzw. staatlich organisierter Zweig der Dienstleistungen oder Arbeit ist Pflege fast ein „neues“ Phänomen.
In unseren Rückblickartikeln zur Pflege in der Vergangenheit haben wir uns mit den unterschiedlichen Perspektiven auf Pflege beschäftigt, die es allein in den letzten 100 Jahren gab. Es hat sich viel immer wieder geändert und eine neue Änderung steht spürbar europa- oder sogar weltweit an.
Gerade europäische Länder, gerade Deutschland, erleben finanziellen Wohlstand, der plötzlich anders verteilt ist als bisher. Wir können – müssen – gemeinsam entscheiden, wie dieser Wohlstand verteilt wird und welcher Teil davon dafür sorgen soll, dass Kranke oder Alte nicht abhängig davon sind, ob Kinder und Verwandte sich freiwillig für die Pflege melden.