15.09.2023
Die Pflege meiner Mutter macht mich krank
Der Titel des Artikels klingt drastisch, aber er ist nicht reißerisch gemeint. Wie wir auf die Idee kommen? Wir haben uns angesehen, welche Aspekte von Pflege viele Menschen beschäftigen, wonach sie also googeln.
Und erstaunlich viele tippen bei Google genau diesen Satz ein: Die Pflege meiner Mutter macht mich krank.
Wenn Sie den Artikel auch so gefunden haben, sollten Sie das als erste wichtige Information lesen: Sie sind nicht alleine. Es geht (leider!) sehr vielen Menschen so, dass die Pflege ihrer Mütter, Väter oder auch Partner*innen sie über alle Grenzen des Zumutbaren belastet.
Wie viel muss ich pflegen?
Wo liegt denn diese „Grenze des Zumutbaren“? Dieser Punkt ist einer von vielen, bei denen die Antwort „ganz klar“ lautet: „das kommt darauf an“. Hilfreich? Nicht so richtig.
Ein einfaches Kriterium haben wir aber schon: wenn die Pflege krank macht, sind wichtige Grenzen längst überschritten. Denn das ist wichtig: Die Grenze liegt nicht da, wo es „grade noch so aushaltbar ist“ oder „irgendwie geht“. Die Grenze ist da, wo die Pflege eine Belastung ist.
Und wir sollten uns auch das andere Extrem einmal ansehen: gar nicht selbst pflegen. Das wäre auch in Ordnung. Denn Kinder unterschreiben bei ihrer Geburt keinen Vertrag, die Altersversorgung ihrer Eltern sicher zu stellen. Das haben Sie sicher auch nicht getan.
Was Sie tun, sollten Sie immer machen, weil Sie es wollen. Das heißt nicht, dass sie jeden Aspekt der Pflege mögen müssen – aber das „Gefühlsfazit“ sollte gut sein.
Es macht beispielsweise sehr wenig Menschen für sich genommen Spaß, anderen beim Duschen zu helfen. Ein Hobby ist das sicher nicht. Aber es kann sich sinnvoll anfühlen, richtig, hilfreich, wertvoll, menschlich oder nach etwas „Gutem“.
Wenn sich das Helfen aber nur (noch) nach Ballast anfühlt, nach Stress, Peinlichkeit, zu viel Verantwortung, unfairer Belastung, Anstrengung oder Horror, dann ist es nicht „gut“, sondern „schlecht“.
Über die Belastung sprechen
Egal, ob Sie sich nur durchgeklickt haben oder selbst bei Google ihren Stress eingetippt haben: Sie machen schon etwas richtig. Sie drücken ihr Gefühl aus. Vielleicht ganz klein, mit einem neugierigen Klick: „Geht das echt auch anderen so?“. Oder schon lauter, verzweifelter, mit der Frage an die Suchmaschine oder das große weite Internet.
Machen Sie weiter so! Und zwar, wo Sie können und wo es am besten passt. Privat, bei Freunden, beim Rest der Familie, bei (anderen) Nachbarn oder bei Ihrem Pfarrer. Bitten Sie darum, sich ausweinen zu können oder ausschreien oder auskotzen – der Frust und die Traurigkeit und die Überforderung müssen raus!
Wenn das nicht reicht, nicht hilft oder nicht geht, gibt es zum Glück auch spezielle Angebote. Sie sind ja nicht allein, es geht ja vielen so – also gibt es auch Hilfe.
Sachliche Hilfe – Pflegetelefon und Pflegeberatung
Die Bundesregierung weiß, dass Pflege Belastung bedeutet. Ohne verschweigen zu wollen, dass die offiziellen Leistungen für Angehörige ständig auf der Strecke bleiben, sei das Pflegetelefon erwähnt. Es ist eine anonyme und vertrauliche Beratung für Pflegende.
Unter 030 20179131 beantworten Expert*innen Fragen zur Pflege, auch ganz explizit die Frage „Wer hilft mir, wenn ich nicht mehr kann?“
Ein weiteres Beratungsangebot speziell für pflegende Angehörige gibt es auch von den Krankenkassen. Online und anonymisiert kann man auf https://www.pflegen-und-leben.de/ Hilfe finden. Hier geht es vor allem darum, Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien zu lernen, um mit der Belastung durch die Pflege zurecht zu kommen.
Die Hotline ist Montag bis Donnerstag von 9 bis 18 Uhr erreichbar. Alternativ geht es auch per E-Mail an info@wege-zur-pflege.de
Eine Alternative ist die Pflegeberatung, die beispielsweise auch Pflegedienste anbieten (für Kamen, Bergkamen und Dortmund gilt: wir beraten auch! Und sind täglich von 8 bis 20 Uhr erreichbar, auch ganz kurzfristig). Wenn Sie jemanden pflegen, der einen Pflegegrad hat (2-5), dann kann die Beratung Pflicht sein. Sie ist aber immer auch freiwillig möglich. Vielleicht gibt es ganz praktische Entlastungsmöglichkeiten durch einen Pflegedienst für Sie?
Emotionale Unterstützung – Gruppen und Hotlines
Es ist akut ätzend oder zu viel oder traurig und die Belastung durch die Pflege überwältigt Sie einfach? Dann können Sie zum Beispiel die Telefonseelsorge anrufen: 08001110111 – oder auf der Webseite https://www.telefonseelsorge.de/
Hier ist der andere Mensch am Telefon zwar vielleicht nicht auf das Thema Pflege spezialisiert, aber aufs Zuhören und Stärken. Und manchmal ist es gut, mit jemandem zu reden, der so gar nicht im Thema ist und den „Wahnsinn“ des Pflegealltags nicht gewohnt ist.
Und der Gegensatz ist auch manchmal wahr: man muss mit jemandem reden, dem es genauso geht. Der einfach versteht, wie es sich anfühlt, im Pflegechaos zu sitzen und zwischen persönlichen Anforderungen, Zuneigung und Wut, Überforderung und Genervtsein, … irgendwie zu „funktionieren“.
In vielen Städten und Regionen gibt es deswegen mittlerweile Selbsthilfegruppen für Angehörige. Manchmal heißen die auch Begegnungsgruppen, Beratungsstelle oder „Treffpunkt“, weil das Wort „Selbsthilfegruppe“ sich abschreckend liest. Gegenseitig-Helfen-Gruppe – das finden Sie, wenn Sie Ihren Wohnort und Selbsthilfegruppe Pflege suchen.
Hilfe von Ärzt*innen und Co
Die Überschrift des Artikels sagt nicht umsonst „macht mich krank“. Denn ständige (Über-)Belastung, Stress und emotionale Achterbahnfahrten machen krank. Ob psychisch/mental und plötzlich ständig das Gedankenkarussel duchdreht, Angst aufkommt oder man nur noch müde ist. Oder körperlich, wenn man permanente Infekte durchmacht, seit neustem humpelt oder Ausschlag von den Gummihandschuhen bekommt.
Das „zählt“ alles als krank sein. Und wie bei einem hartnäckigen Husten, depressiven Gefühlen oder einer hässlichen Brandwunde sollten Sie damit zu einer Ärztin oder zu einem Arzt. Das kann Ihre Hausärztin sein, ihr Frauenarzt, eine Psychologin oder ein Orthopäde: erzählen Sie davon, was Sie krank macht.
Und nehmen Sie sich das Recht, kritisch zu sein: wenn ein*e ausgebildete*r Mediziner*in so etwas Dummes sagt wie „Das ist nur Stress“ oder „Sie müssen sich entspannen!“ dann suchen Sie sich qualifiziertere Beratung und Hilfe.
Auch dabei kann andere Hilfe helfen: offizielle Beratungsstellen oder die Selbsthilfegruppenmitglieder haben vielleicht Erfahrungswerte und Tipps zu Ärzt*innen, die zuhören.
Nicht aufgeben! – oder eben doch
Noch mal zum Anfang: müssen Sie dadurch? Nein. Wenn Sie nicht mehr können, dann muss Schluss sein. Und „nicht mehr können“ bedeutet nicht „ich habe absolut alles versucht, ignoriere meine Gesundheit, nehme Aufputsch- oder Beruhigungsmittel und habe kein Sozialleben mehr“. „Nicht mehr können“ fängt da an, wo Sie aufhören wollen.
Natürlich können Sie Ihre Mutter, Ihren Vater oder andere Personen, die von Ihnen abhängig sind, nicht von jetzt auf gleich fallen lassen und ignorieren. Aber Sie können allen wichtigen Stellen Bescheid sagen, dass Sie nicht mehr können und krank sind und dass andere jetzt sofort helfen müssen.
Und wieder – Sie merken, bei diesem Thema hat alles zwei Seiten – gibt es auch ein Andersrum: Sie müssen nicht aufhören, weil Sie gerade nicht mehr können oder krank sind. Sie können nach der Lösung suchen, die für Sie funktioniert. Und wenn die bedeutet, dass der Pflegedienst fürs Duschen kommt, obwohl Sie im gleichen Haus wohnen, dann ist das eben so.
Machen Sie das, was Sie gesund macht und Ihnen ermöglicht, so viel zu pflegen, wie Sie möchten. Wir wünschen Ihnen viel Kraft und alles Gute!