Immer mehr geben auf: Raus aus Pflege-Job oder Ausbildung

02.04.2021

Immer mehr geben auf: Raus aus Pflege-Job oder Ausbildung

Die Aussichten für die Pflege sind nicht sehr gut – das ist nicht neu. Scheinbar neu ist eine größere Welle an Aussteigern, die uns wohl bald alle erreichen wird. Corona hat die Unzufriedenheit auf eine neue Spitze getrieben – gekoppelt mit der Blockade eines verbindlichen Tarifvertrags in der Pflegebranche durch die Caritas.

Corona als der „letzte Tropfen“?

Corona hat das sprichwörtliche Fass für viele zum Überlaufen gebracht. Der Grund dafür ist aber kein „letzter Tropfen“, sondern eher ein Dammbruch.

Durch die besonders starke Belastung in der aktuellen Situation werden alle Schwachstellen des Pflegesystems, die sonst so grade überdeckt oder geflickt werden konnten, aufgerissen und offenbart. Die meisten dieser Schwachstellen sind altbekannt und wir haben hier bereits oft darüber gesprochen: die schlechte Finanzierung, die falschen Versprechungen der Politik, die ins Nichts zielenden Kampagnen beispielsweise von Gesundheitsminister Spahn. Und der fehlende Respekt für eine wichtige Tätigkeit, die Scheinlösungen durch Akademisierung, die vielen Überlastungsprobleme, die aus schlechter Bezahlung abhängen.

Pflegekräfte bleiben aus Loyalität zum Team

Der Grund, den viele Pflegekräfte zum Beispiel auch nach ver.di angeben, im Moment weiterzuarbeiten, sind die Kollegen. Das ganze System arbeitet gegen sie. Gleichzeitig haben sie das Gefühl „Teil des Problems“ zu werden, wenn sie gehen. Weil sie selbst erlebt haben, wie das ist, wenn plötzlich jemand fehlt.

Auch in unseren Teams kommt das vor. Natürlich ist mal jemand krank oder etwas Unvorhergesehenes passiert. Dann fängt der Rest des Teams das Problem auf. Das ist Teamgeist und „sich aufeinander verlassen können“ und sollte gegenüber den einzelnen Mitgliedern eines Teams gelten: Ich springe für dich ein, weil du für mich einspringen würdest.

Aber wenn ein Pflegeheim oder einfach das gesamte Gesundheitssystem sich plötzlich auf diesen Mechanismus verlässt, ist etwas falsch und gefährlich: Du springst für uns ein, weil du keine Wahl hast. Das ist kein Teamgeist, das ist Erpressung.

Auch Arbeitgeber müss(t)en sich Loyalität verdienen

In vielen Bereichen hat jetzt auch das Nein der Caritas zum Tarifvertrag viele Arbeitgeber von der Pflicht einer vernünftigen Bezahlung im Rahmen aktueller Möglichkeiten befreit. Die katholisch geführte Caritas möchte die Sonderrolle der Kirche schützen – kein Streikrecht, kein Tarifrecht. Die evangelisch geführte Diakonie profitierte direkt und konnte sich nach der Absage durch die Caritas „enthalten“.

Bei so viel Wertschätzung der eigenen Rechte gegenüber der Bezahlung von Pflegekräften in den eigenen und anderen Unternehmen, ist es kein Wunder wenn vor allem in den kirchlich gestützten Pflege- und Altenheimen die Motivation gegen Null geht.

Wieso so viele übers Aussteigen nachdenken

Auch ein sehr sinnvoller Beruf, eine Tätigkeit, die „Menschen hilft“, kann sich sinnlos oder leer anfühlen, wenn man dabei zusehen muss, wie fehlende Ressourcen – keine Zeit für Patienten und Ruhe, keine Kolleginnen für ein funktionierendes Team, zu schlechte oder alte Ausstattung, fehlende Sicherheits- oder Gesundheitsmittel, … - gegen einen arbeiten.

Macht sich diese „Sinnlosigkeit“ erst mal breit, wird es schwieriger, über die alltäglichen Probleme hinwegzusehen. Selbstmotivation ist ein starker Antrieb, aber er kann nicht langfristig gegen die äußeren Umstände arbeiten. Wenn das Team nicht da ist, der Betrieb in ein falsches System eingebettet ist und der Zusammenhalt durch Corona erschwert wird, ist es eigentlich ein Wunder, wie viele Leute noch da sind und weiter (mit)machen.

Wir sind dankbar für unsere Kolleginnen und Kollegen und versuchen weiter, als Team zusammenzuhalten. Auch gegen alle Tropfen und Wellen, die da kommen mögen.